Eine aktuelle und umfangreiche Zusammenstellung gesetzlicher Grundlagen für medizinisches Fachpersonal stellt die DG KiM in ihrer Richtlinie dar: Leitfaden_2016
Die entsprechenden Auszüge sind auch im Folgenden dargestellt:
Rechtsfragen bei Gewalt gegen Kinder umfassen ein relativ weites Spektrum. Neben internationalen Abkommen gibt es Vorgaben im Grundgesetz (GG) mit der Verankerung des elterlichen Sorgerechts, aber auch des sog. staatlichen Wächteramtes als Einschränkung dieses Sorgerechts. Der Gesetzgeber füllt diese Vorgaben inhaltlich u.a. mit Regelungen im Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) bzw. im Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII), im Strafgesetzbuch (StGB) und in der Strafprozessordnung (StPO). Daneben gibt es spezielle gesetzlichen Regelungen auch zum Schutz von Minderjährigen z.B. im Gewaltschutzgesetz (GewSchG) und in den „Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStV)“. Neu hinzugekommen ist das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) vom 17. Dezember 2008. Besondere praktische Relevanz haben Regelungen zum Umgang mit minderjährigen Gewaltopfern im Strafverfahren.
Seitens behandelnder Ärzte ist einerseits zu beachten, dass zunächst grundsätzlich die ärztliche Schweigepflicht gemäß § 203 StGB gilt. Diese darf aber im Sinne einer sorgfältigen Güterabwägung bei drohender Gefahr für ein Rechtsgut von hohem Rang gebrochen werden. Das gefährdete Kindeswohl ist in dieser Abwägung das höhere Rechtsgut. Als rechtliches Instrument dient hierzu der rechtfertigende Notstand gemäß § 34 StGB. Bei begründetem Verdacht auf eine Kindesmisshandlung ist schon allein wegen der nicht ausschließbaren Wiederholungsgefahr im Regelfall eine Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht möglich. Dies kann z.B. gegenüber dem Jugendamt erfolgen, dass seinen im SGB VIII verankerten Pflichten zur Hilfeleistung bzw. Abschätzung der Kindeswohlgefährdung (§ 8a SGB VIII) genügen muss. Gegebenenfalls hat das Jugendamt Entscheidungen des Familiengerichts herbei zu führen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Strafanzeige gemäß § 138 StGB besteht nicht.
Das seit dem 01.01.2012 geltende Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) verpflichtet alle im Kinderschutz tätigen Stellen zur Zusammenarbeit in einem Kooperationsnetzwerk und erlaubt gem. § 4 Abs.1 Ärzten, Ärztinnen, Hebammen, Entbindungspflegern und Angehörigen eines anderen Heilberufes bei Kenntnis gewichtiger Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen tätig zu werden: zunächst Erörterung der Situation mit den Sorgeberechtigten und Hinwirken auf die Inanspruchnahme von Hilfen, soweit dies das Wohl des Kindes oder Jugendlichen nicht in Frage stellt. Das Jugendamt soll nach Information mit pseudonymisierten Daten eine Beratung durch eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ bieten. Reicht dies nicht aus zur Abwendung der Gefährdung, so darf das Jugendamt weitergehend informiert werden mit allen erforderlichen Daten. Steht das Wohl des Kindes bzw. Jugendlichen nicht entgegen, so sind die Betroffenen vorab auf die anstehende Information des Jugendamtes hinzuweisen.
Weiterhin soll der Einsatz sog. Familienhebammen gestärkt werden, einschlägig vorbestrafte Personen werden von Tätigkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe ausgeschlossen (neuer § 72a SGB VIII), die Jugendämter sollen ihren Informationsaustausch steigern um das sog. „Jugendamts-Hopping“ zu verhindern, Hausbesuche durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes bekommen einen höheren Stellenwert.
Informationen zum Bundeskinderschutzgesetz
Das Gesetz selbst besteht zu einem erheblichen Teil in Änderungen anderer Gesetze und Paragraphen mit den entsprechenden Links hier .
Ein Originalartikel mit Kommentar und Beschreibung von Prof. R. Wiesner findet sich im Newsletter der AG KiM Ausgabe 3 (01-2012), S.5-17
→ Siehe ausführlich Handlungsempfehlungen zum Bundeskinderschutzgesetz Fachliche Beratung (§ 4 KKG, § 8b SGB VIII)
Allerdings ist weiterhin zu bedenken, dass sich der Arzt durch seine besonderen fachlichen Qualifikationen und Möglichkeiten Kinder zu schützen, in einer sog. Garantenstellung befindet und damit eine besondere Verantwortung und moralische Verpflichtung hat, für den Schutz seiner minderjährigen Patienten zu sorgen.
Unabhängig von der Frage einer gesetzlichen Meldepflicht ist es bei Verdachtsfällen möglich, das in Deutschland weitgehend akzeptierte Konzept »Hilfe statt Strafe« zu praktizieren, wenn dies nach einer gründlichen Bewertung der Situation des Kindes als sinnvoll und Erfolg versprechend erachtet wird. Da Kinderschutz nicht selten auch die Mitteilung von Misshandlungs-, Missbrauchs- und Vernachlässigungsfällen an staatliche Stellen bedeutet (Jugendamt, Polizei, Staatsanwaltschaft), gehört zu einem umfassenden Konzept des ärztlichen Umgangs damit auch die Kenntnis einschlägiger gesetzlicher Normen und ihrer Konsequenzen für die Opfer.
Bei Kindesmisshandlung handelt es sich um ein Offizialdelikt. Gelangt es zur Kenntnis von Polizei und Staatsanwaltschaft, so müssen diese ermitteln. Dabei sind Schutzvorschriften gegenüber dem kindlichen Gewaltopfer zu beachten, die teils in der StPO, teils in den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) festgelegt sind. Dazu gehört die Vermeidung mehrfacher Befragungen, die Möglichkeit der Videovernehmung und der zwingende Hinweis, dass eine Person des Vertrauens zugegen sein darf. Das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) gegen häusliche Gewalt dient auch dem Schutz Minderjähriger und ermöglicht akut ein Aufenthaltsverbot des Gewalttäters in der Wohnung sowie in der Umgebung jener Orte, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält. Sind Tatverdächtige die sorgeberechtigten Eltern, so kann über das zuständige Familiengericht das Sorgerecht entzogen und ein Betreuer eingesetzt werden. Um dem Kind ein wiederholtes Auftreten in Gerichtsverfahren zu ersparen, lassen die prozessualen Regelungen einerseits eine Videovernehmung zu und andererseits können Schadensersatzansprüche und Schmerzensgeld im Wege des sog. Adhäsionsverfahrens schon im Strafverfahren geltend gemacht werden, so dass ein erneutes Verfahren vor einem Zivilgericht entfällt. Generell gilt nach den RiStBV die Vorgabe, dass Verfahren mit minderjährigen Gewaltopfern beschleunigt durchgeführt werden sollen.
Das Rechtsgebot der ärztlichen Schweigepflicht nach §203 StGB ist im Sinne einer Güterabwägung gegenüber dem gefährdeten Kindeswohl abzuwägen. Der § 34 StGB erlaubt diese Abwägung im Sinne eines rechtfertigenden Notstandes, wenn sie gründlich und gewissenhaft erfolgt. Eine Verpflichtung zur Anzeige entsprechend den meldepflichtigen Straftaten des § 138 StGB besteht jedoch nicht.
Überblick Rechtsnormen bei Kindesmisshandlung
I. Internationale Normen zum Schutz des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention; Haager Minderjährigen Schutzabkommen; Haager Kindesentführungsabkommen)
II. Verfassungsrechtliche Vorgaben (insbes. Art. 6 GG – Elterliches Sorgerecht -„Staatliches Wächteramt“)
III. Bundesgesetze
1. Zivilrecht (BGB), Zivilprozessrecht (ZPO) und Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG)
2.Trennung des Kindes von den Eltern; Entziehung der Personensorge (§ 1666a BGB)Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) und Sozialgerichtsgesetz (SGG)
3. Strafrecht (StGB) und Strafprozessrecht (StPO)
4. Sonstige Regelungen
Handlungsempfehlungen zum Bundeskinderschutzgesetz
Fachliche Beratung (§ 4 KKG, § 8b SGB VIII)
Information
§ 4 Abs. 2 KKG räumt den unter Abs. 1 genannten Berufs- bzw. Amtsgeheimnisträgern zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung unter anderem einen Anspruch gegen den örtlichen öffentlichen Träger auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft ein.
(§ 4 KKG enthält nur eine bedingte Befugnis zur Datenweitergabe und keine Verpflichtung zur Information des Jugendamtes.)
§ 8b Abs. 1 SGB VIII sieht einen entsprechenden Beratungsanspruch gegenüber dem örtlichen öffentlichen Träger für alle Personen vor, die aus beruflichen Gründen im Kontakt zu Kindern und Jugendlichen stehen, sei es bei öffentlichen oder freien Trägern der Jugendhilfe oder außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe. Dieser Anspruch auf Beratung bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung gilt etwa auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Rehabilitationsdiensten und -einrichtungen. Das unterstreicht § 21 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX, der die Inanspruchnahme des entsprechenden Beratungsangebots als Inhalt der Leistungsvereinbarungen von Rehabilitationsträgern mit Leistungserbringern vorsieht. Der neu strukturierte § 8a Abs. 4 SGB VIII formuliert den Schutzauftrag nun auch für die Vereinbarungen mit den freien Trägern aus. Neu ist, dass die Qualifikationsanforderungen an die insoweit erfahrene Fachkraft in die Vereinbarungen aufzunehmen sind.
§ 8b Abs. 2 SGB VIII räumt den Trägern von Einrichtungen, in denen sich Kinder oder Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tages aufhalten oder in denen sie Unterkunft erhalten, und den dafür zuständigen Leistungsträgern einen Rechtsanspruch gegenüber dem überörtlichen Träger auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher Handlungsleitlinien zur Sicherung des Kindeswohls, zum Schutz vor Gewalt und zur
Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an strukturellen Entscheidungen und zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens ein. Nach der Gesetzesbegründung soll § 8b Abs. 2 SGB VIII für Einrichtungen gelten, die gem. § 45 SGB VIII betriebserlaubnispflichtig sind. Nach dem Wortlaut des Gesetzes erstreckt sich der Auftrag aber auch auf andere Einrichtungen. Die Inhalte der Handlungsleitlinien, um die es in der Beratung nach § 8b Abs. 2 SGB VIII geht, sind auch Gegenstand der Qualitätsentwicklung des örtlichen Trägers nach § 79a SGB VIII. Der örtliche Träger ist deshalb in die Beratung einzubinden, wenn § 8b Abs. 2 SGB VIII weitergehend verstanden und auf alle Einrichtungstypen (etwa auch auf Jugendzentren) bezogen wird.
Ausführliche Information erhalten Sie unter folgendem Link.